3.3. Was der Kaland feierte und was er besaß

Zweimal im Jahr ausgiebig feiern


Rechnet man die Stiftungen zusammen, so ergibt sich folgendes: Das Kapitalvermögen aus Stiftungen betrug rund 1250 Pfund (Talente) und 65 Gulden, das sind zusammen 633 Gulden. Ferner besaß der Kaland rund 150 Morgen Land (1 Hufe zu 30 Morgen) und je einen Hof in Lesse und Ottbergen. Die Gesamtzahl der Memorien beträgt ungefähr 55, davon wurden 15 (16) in Nettlingen gehalten. Wie ein Kaland, also eine Zusammenkunft der lebenden Mitglieder in Nettlingen, im einzelnen verlief, ist nicht bekannt. 


Wahrscheinlich gab es außer einem Gottesdienst und einer Besprechung von Kalandsangelegenheiten auch auf Kosten des Kalands eine gemeinsame Mahlzeit. Zweimal im Jahr fand solch ein Kaland statt, am Mittwoch nach Misericordiasdomini (zweiter Sonntag nach Ostern) und am Mittwoch der vollen Woche nach dem Michaelistag (29. September), und zwar in irgendeinem Dorf des Bannes, also nicht immer in Nettlingen. Das geschah wohl, weil der Kaland in Nettlingen kein eigenes Haus besaß. 



Der "Send" - ein Kirchengericht


An den zweiten Kaland in der sog. "gemeinen Woche" nach Michaelis schloss sich in Nettlingen am folgenden oder übernächsten Tage zusammen mit der Memorie des dortigen Archidiakons und Plebans die synodus sancta, die heilige Synode, der „Send" an. Dieser Termin war im Bistum althergebracht. Der Synodus oder Send ist das feierliche, durch das ganze Mittelalter hindurch mehrmals im Jahre vom Archidiakon oder seinem Kommissar am Archidiakonatsort im Freien oder etwa im Altarraum der Kirche abgehaltene Sendgericht für Geistliche und Laien.

Bei diesem wurden Anordnungen getroffen, Streitigkeiten geschlichtet, grobe Verstöße gegen die Vorschriften der Kirche und sittliche Ausschreitungen von den dazu bestellten Beisitzern zur Anzeige gebracht, beurteilt und im Schuldfalle mit einer Buße belegt wurden. Vertrauensleute der Gemeinden traten dabei als "Wroger" auf, die die zu rügenden Sachen vorbringen mussten. Alles verlief in feierlichen althergebrachten und festen Formen (siehe den Abschnitt über die Nettlinger Kirche und ihre Geistlichen, Teil 1).

Der Ort der zweiten Synode, die am Donnerstag nach Invokavit, einem seit alters auch sonst üblichen Termin, gleichzeitig mit der Memorie der von Salder stattfand, wird sicher auch Nettlingen gewesen sein; zumal die von Salder dort seit langer Zeit begütert waren und vielleicht auch damals schon einen Wohnsitz hatten (Die von Salder hatten 35 Gulden gestiftet, von denen 25 Gulden gegen Verpfändung von einer Hufe, Haus und "Hellhof" (an der "Helle"), einem Lehen von St. Michael ausgeliehen waren, weitere 10 Gulden an Einwohner in Hoheneggelsen). Sodann finden sich noch zwei interessante Nachrichten:

Am Dienstag nach Rogate (fünfter Sonntag nach Ostern) kamen in Dingelbe oder Himstedt die Reliquien der Heiligen zusammen, d.h. also, dass an diesem Tage die Geistlichen sämtlicher Orte dort zusammen kamen und die Reliquien ihrer Kirchen mitbrachten, die sie dann wohl in feierlicher Prozession zur Kirche führten, wo sie vor dem Altar aufgestellt wurden. Ein feierliches Hochamt wird sich angeschlossen haben. Am gleichen Tage fand vermutlich eine Memorie für die ungenannte Wirtschafterin (famula) des Himstedter Plebans statt, welche 10 Gulden gestiftet hatte.

Zwei Tage später, also am Himmelfahrtstage, fand in Nettlingen „unter Zusammenkunft aller Geistlichen eine Memorie statt, zu der der Dominus plebanus daselbst eine Hufe (=30 Morgen) mit einem Hofe im Felde und Dorfe Lesse gestiftet hatte, von denen ein jährlicher Zins an Getreide und ein Schock Eier aufkamen. Und es kommen dort (wie zwei Tage zuvor in Himstedt oder Dingelbe) die Reliquien der Heiligen aus dem ganzen Bann Nettlingen zusammen zur Ehre und zur Begegnung mit den Reliquien unsrer Herrin, der höchstruhmreichen Jungfrau Maria." In feierlicher Prozession wurden also am Tage der Himmelfahrt die Reliquien aller Bannkirchen den Reliquien der Jungfrau Maria zu ihrer Ehrung entgegengetragen. 


Kostbare Marienreliquien


Der verstorbene Bischof Machens meinte, dass es sich bei den Marienreliquien um das berühmte Reliquiar des Hildesheimer Doms gehandelt habe, das der Bischof an diesem Tage, wohl hoch zu Ross zu einer Begegnung der Dompatronin und der Pfarrpatrone des Bannes Nettlingen hierher getragen habe. Von sachkundiger Seite (Prof. Algermissen) ist dagegen eingewandt, dass dieser Brauch im Mittelalter für die Dörfer dicht um Hildesheim her bestanden habe, dass aber bei der weiten Entfernung von Nettlingen (ca. 15 km) eine Uberführung der kostbaren Reliquie in einen so weit gelegenen Ort beinahe ausgeschlossen sei, es müsse sich daher um eine in Nettlingen befindliche Reliquie gehandelt haben. 


Danach müsste Nettlingen also eine Marienreliquie besessen haben, und die Kirche wäre somit der Maria geweiht gewesen. Dafür spricht auch das gotische Deckengemälde im Chor mit Maria im Mittelpunkt und der gotische Kelch, der als Aufschrift die Namen Jesus und Maria zeigt. Man wird also annehmen dürfen, dass Nettlingen im ausgehenden Mittelalter bereits eine Marienkirche war. Dabei besteht die Möglichkeit, dass die Kirche ursprünglich einem anderen Heiligen geweiht war und dass also wie auch anderwärts ein Patroziniumswechsel stattgefunden hat.

Man kann sich vorstellen, dass der jährliche Himmelfahrtstag für die Gemeinde Nettlingen ein ganz besonderer Festtag war. Daran schlossen sich dann am nächsten Tage die Bittgänge durch die Felder an, woraus in evangelischer Zeit der noch heute gefeierte Hagelfeiertag hervorgegangen ist. 


Ein Pastor aus Hoheneggelsen als Chef


Die Leitung des Kalands lag in den Händen eines dazu bestimmten Geistlichen, der Dechant genannt wurde. 1557 war es der Pastor Weigelt, in Hoheneggelsen. Jährlich musste eine Rechnungsablage erfolgen, über eine solche 1549 in Garmissen im Beisein des Präpositus von Kloster Wöltingerode - Tile Blanken - erfolgte Rechnungslegung berichtet das Memorienregister.

Die im Amt Steinbrück vorhandenen Einkünfte werden im Visitationsprotokoll von 1542 (Kayser, Ref. Ki. Vis. S. 144) wie folgt angegeben: 16 Pfd. zu Hoheneggelsen, 8 zu Himstedt, 2 zu Bettrum, 1 zu Mölme, 30 Schilling zu Garmissen, im Amt Lichtenberg 2 Pfd. zu Berel, 1 Hof(?) zu Lesse.

In den Kalandsakten des LKA Welfenbüttel und des Staatsarchivs Hannover finden sich Abrechnungen und ein Briefwechsel aus der Zeit von 1557-75, z.T. noch später. Daraus geht hervor, dass die Aufsicht über den Kaland damals noch dem kath. Propst Blanke von Wöltingerode unterstand und dass dieser in Rechnungssachen mehrfach aufgesucht wurde. 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen