3.2. Armgards, Fornekahls & Co: Wer war Mitglied im Kaland?



Ein kostbares kleines Büchlein


Unsere genaue Kenntnis über Zusammensetzung, Zusammenkünfte, Vermögen und Einkünfte, sowie über die „Memorien“, d.h. die jährlichen Gedenktage der Stifter, bei denen für diese an einem Ort des Kalands eine Seelenmesse gelesen wurde, stammt aus dem "Registrum dominorum ac fratrum Kalendarum banni nettelinge memoriarum" von 1521, d.h. „Register der Memorien der Kalandsherren und -brüder des Bannes Nettlingen" (von mir veröffentlicht im Jahrb. d. Ges. f. Nieders. Ki. Gesch. Bd. 40, 1951, S. 56-68).

Dieses 1521 angelegte Register ist ein – komplett von nur einer Hand geschriebener - kleiner Oktavband mit späteren Zusätzen von 1549, und liegt im Archiv des Landeskirchenamtes in Wolfenbüttel. Der alte Umschlag besteht aus zwei Pergamentblättern, die aus einer wertvollen mittelalterliehen hebräischen Handschrift des Alten Testamentes stammen.

Pastor Heinrich Schulte aus Dingelbe


Aus weiteren Akten des 16. Jahrhundert in Wolfenbüttel über den Nettlinger Kaland geht folgendes hervor: Im Jahr 1591 war der Amtmann Rorich in Lichtenberg vom Konsistorium in Wolfenbüttel aufgefordert, unter den Papieren des jüngst verstorbenen Superintendenten Heinrich Schulte in Oberfreden (=Lichtenberg) dasjenige herauszusuchen „was zu der Pfarre Nettlingen gehörig sein möchte".

Schulte war von etwa 1557 bis etwa 1567 lutherischer Pastor in Dingelbe  gewesen. Von dort kam er nach Oelsburg als Dekan und wohnte später als Superintendent des Amtes Lichtenberg in Oberfreden. (Da nicht feststeht, wer vor 1563 in Nettlingen das evangelische Pfarramt verwaltete - dort lebte noch 1557, vielleicht auch noch 1563 der, wie wir wissen, im Jahr 1551 noch katholisch gesinnte langjährige Geistliche Johann Meyer - so besteht wegen der Anfrage des Konsistoriums die Möglichkeit, dass Pastor Schulte als evangelischer Pastor von Dingelbe aus auch die Pfarrei in Nettlingen mitversah.)

Der Amtmann erwiderte am 31. 7. 1592, er habe in der Studierkammer des Verstorbenen unter Briefen, Kirchenrechnungen und Büchern keine Verzeichnisse und Nachrichten gefunden, die Nettlingen betrafen, sondern nur ein "beiverwahrtes“ altes geschriebenes Register, nämlich unser Memorienregister des Kalands. So kam damals dies wertvolle Dokument nach Wolfenbüttel.

Was steht im Nettlinger Kalands-Register?


Das Register ist ein dem Jahresablauf von Ostern bis Ostern (nach damaliger Zeitrechnung begann ein neues Jahr nicht am 1. Januar, sondern tatsächlich nach Ostern) folgendes Verzeichnis der jährlich wiederkehrenden regelmäßigen Veranstaltungen des Kalands durch das ganze Jahr hindurch, sowie der im Laufe der Jahre an verschiedenen Tagen gemachten Stiftungen unter Angabe der Stifter und der Verwendung der jährlichen Einkünfte.

Da heißt es z.B.:

"In vigilia Johannis Baptiste in Nettelinge, dominus plebanus Hartungus Vorkoll  dedit XL punt, dusse XL punt hebben Henning und Tile Meyger to Berle, ecclesie VIII s, custodi II s."

d.h.: Am Vorabend des Johannisfestes ist Memorie (Totengedenkfeier) in Nettlingen; hierzu hat der Herr Pleban (Priester) Hartung Vorkoll 40 Pfund (=40 Talente =800 Schilling =118 Gulden) dem Kaland gestiftet. Diese Summe haben Henning und Thiele Meyer zu Berel geliehen, von den Zinsen erhält die Kirche in Nettlingen 8, der Küster 2 Schillinge.“

Ein anderes Beispiel:

,,Sexta feria post Margrete in nettelinge, Henning barteken dedit XXXVI punt, dussen summen hefft Hinreck Jans to Groten Himstede, dar vor gesath VIII morgen landes upem Groten Himsteder velde; gandersems gud, item III morgen landes upem Lutker Himsteder velde, Sancti Michaelis gud".

d.h.: Am 6. Tage nach Margaretentag (13. Juli) ist Memorie in Nettlingen, dazu hat Henning Barteken 36 Pfund (= 16 Gulden) gestiftet; diese Summe hat Hinrich Jans in  Gr. Himstedt, dafür hat er als Pfand gesetzt 8 Morgen Land auf dem Gr. Himstedter Felde, Stift Ganderheimsches Gut, und 8 Morgen auf dem Kl. Himstedter Felde, Gut des Michaelisklosters'.

Das Register ist also, mit Abweichungen im einzelnen, nach folgendem Schema angelegt: Nach Nennung des Kalendertages folgt die Angabe des Ortes, an dem die Memorie, d.h. die jährliche Gedächtnisfeier, stattfindet (oder auch eine Zusammenkunft zu Kaland, Synode oder Reliquienprozession). Dabei erscheint Nettlingen 15 Mal, Dingelbe 4(3) Mal, Himstedt 8(7) Mal, Hoheneggelsen 10 Mal, Garmissen, Feldbergen und Bettrum je 3 Mal. (Dass in Schellerten, Ottbergen und Berel, die doch auch zum Kaland gehörten, keine Memorien und Stifter erscheinen, ist auffällig. Sollte das Verzeichnis unvollständig  sein? Erwähnt werden Kalandshöfe in Ottbergen und Berel, und die Kalandsherren von Schellerten und Ottbergen. Auffällig ist auch, dass das zum Bann Nettlingen gehörige Wöhle überhaupt nirgends erwähnt wird.)

Stifter werden namentlich genannt


Auf die Angabe des Tages und Ortes folgt die Nennung des Stifters  einer Memorie, entweder eine Einzelperson oder eine Familie, z.B. die von Salder, oder die Vornkahls. In Nettlingen wird einmal der Archidiakon und der Pleban ohne Namensangabe genannt. Unter den Stiftern sind 7 Geistliche, die sich aus sonstigen Quellen nicht nachweisen lassen, außerdem 23 Laien, davon aus Nettlingen: Hinrich Armegard, Henning Barteke, die Fornekahl, Hinrich Fornekahl, Bart. Moller, Sophia von Nettlingen, Hinrich Oppermann, Hinrich u. Cord Rose, die von Salder, der Küster Lambert Struve und Henn. Volkmers.

Das Rittergeschlecht derer von Nettlingen bewohnte seinen Hof („Burgsitz“) in  Nettlingen nachweislich bis ins erste Viertel des 16. Jahrhunderts, die von Salder waren in Nettlingen begütert und traten 1551 als Gutsherren in  Nettlingen auf, wo sie bald darauf das jetzige Schloss erbauten. Die Namen von Nettlingern wie Armgard, Bartels, Vornkahl etc. kommen noch heute in  Nettlingen vor, andere wie z.B. Rose, Bock, Hollant sind für frühere Jahrhunderte aus Kirchenbüchern u. ä. nachweisbar.

Im Kalandsregister werden weiter hinter den Namen die dem Kaland  übereigneten, oft recht ansehnlichen, Geldbeträge oder Grundstücke genannt. Darauf folgt in der Regel der Name desjenigen, an den das Geld einer Stiftung ausgeliehen oder das Land verpachtet ist, unter Angabe der jährlichen Gegenleistung in Geld oder Naturalwerten. Für entliehenes Geld müssen  Grundstücke, auch z.B. Meierland eines Klosters, als Pfand gesetzt werden oder Bürgen gestellt werden. 

Zuletzt gibt das Register in vielen Fällen an, an wen und in welcher Höhe aus  den jährlichen Einkünften einer Memorie eine Zahlung geleistet wird, z.B. an  eine Kirche, eine fabrica (also an den Kirchenarär - das Vermögen der Kirche, von dem die regelmäßigen Gottesdienste finanziert werden), an Geistliche wie einen Pleban, Sacellan (Kaplan), oder einen Küster. Nur in einem Falle auch an Arme. 


Letzteres ist sehr auffällig, da sonst die Kalande erhebliche Spenden für Arme auszusetzen pflegten. Entweder ging es allen Gemeindemitgliedern verhältnismäßig gut, so dass kein Bedarf bestand - oder die Nettlinger hielten damals eher wenig von Mildtätigkeit.


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