2.2 Von Geistlichen gesponsert: Das Lehen des Michaelisklosters


Das größte und reichste Lehen kam vom Kloster


Um die Zeit nach 1710 schrieb Jacob Boettcher, der ehemalige Prior des Michaelisklosters, der seit 1710 als Pastor in Winzenburg wirkte, auf Grund von Überlieferungen und Urkunden des Michaelisklosters sein "Chronicon abbaturn sancti Michaelis Hildesii", also eine Abtschronik des Michaelisklosters.

Hierin berichtet er, dass die von Nettlingen seit den Tagen des großen Bischofs Bernward, also etwa seit 1020, bis zum Jahre 1520, dem Todesjahr des Letzten ihres Geschlechts - also seit 500 Jahren - mit einem Landgut in Nettlingen, einem Castrum, das heißt einem befestigten Burgsitz, genannt "de Waill", vom Kloster als dessen Vasallen belehnt gewesen seien. Er bringt dieses angeblich schon durch Bernward errichtete praesidium, das mit Gräben befestigt gewesen sein soll, in unmittelbaren Zusammenhang mit der Zerstörung eines von den ins Land eingefallenen Slawen in der Nähe von Nettlingen angeblich errichteten Zufluchtsortes, genannt die Quynlenburg, (die in späterer Zeit unter dem Namen Quelenburg oder Quenenburg oder Querneburg bei Nettlingen überliefert ist), zusammen.

In dieser Mitteilung verwendet er fast wörtlich diejenige Stelle der „Vita Bernwardi“ von Thangmar, die sich auf die von Bernward errichtete Burg "Wyrinholt" bezieht und schreibt für "Wyrinholt" "Vornholt" (=Vorholz). Ob diese erst um 1720  aufgezeichnete Mitteilung Boettchers einen historischen Kern besitzt, dürfte ebenso fraglich sein wie seine Behauptung, dass die von Nettlingen schon seit den Tagen Bischof Bernwards mit einem befestigten Gutssitz in Nettlingen belehnt waren. Urkunden darüber aus der Zeit von 1020-1333 gibt es nicht.

Aus dem späteren Mittelalter wissen wir, dass die von Nettlingen in Nettlingen Lehnsgut vom Bischof v. Hildesheim, von dem Welfenherzog von Grubenhagen und besonders vom Michaeliskloster besaßen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das alte welfische Lehnsgut der Herzöge v. Grubenhagen einmal den Grundstock des Nettlinger Lehnsgutes gebildet hat. Eine Nachricht von 1530 (Lehnsakten) besagt, dass vor dem 1520 verstorbenen Heinrich v. Nettlingen schon sein Vater, Großvater und Ahn (?) im Besitz dieses Lehens gewesen seien. 


Spätestens seit 1333 die Herren von Netlingen


Aber wahrscheinlicher erscheint es mir, dass das Michaelisklosters in Hildesheim, das um das 1020 in Nettlingen von Bischof Bernward mit einem reichen Grundbesitz von 21 Hufen, also über 600 Morgen, (U.Ho.HLI. 68) und nach einer unechten Urkunde (UoHooHi.I.67) wahrscheinlich auch mit dem Zehnten und einem Hofgut (praedium) ausgestattet wurde, unter den Lehnsherren der von Nettlingen zeitlich und dem Range nach an erster Stelle stand. Urkundlich lässt sich das zwar nicht nachweisen - die älteste Urkunde, welche die von Nettlingen als Lehnsträger des Michaelisklosters zeigt, stammt erst aus dem Jahre 1333 (U. Ho.Hi.IV S. 723 ff).

Um 1530 schrieb das Michaeliskloster (Hild.Lehns.:A.Vol I.Fol.17-28), dass die von Nettlingen seit dem Tode Heinrichs v. Nettlingen im Jahr 1520 mindestens seit 200 Jahren mit Gütern des Michaelisklosters in Nettlingen belehnt gewesen seien. Das stimmt mit den Urkunden überein. Nach dem Lehnsregister des Abtes Konrad v. St. Michael von 1333 (a.a.O.) besaß Johann v. Nettlingen daselbst 2 Hufen und 1 Hof, der neben dem Hofe des Klosters (dem Abtshof?) lag, in Helmersen 8 Morgen und 1 kleinen Hof (area). Johann und Bodo v. Nettlingen, die Söhne Bodos, besaßen 14 Morgen und 1/2 Hof in Nettlingen, ferner hatten die Gebrüder Johann, Borchard und Hermann v. Nettlingen, Ritter, 6 Hufen. Diese 6 Hufen und 1 Hof überantworteten diese 3 Söhne Bodos 1346 dem Bischof für 80 Mark und erhielten sie 1349 vom Michaeliskloster wiederkäuflich für 80 Mark. (U.Ho.Hi.V.211 u. 328, A 374)

Johann, Bodos Sohn, wohl der älteste der Brüder, der sie überlebt haben wird, kommt von 1323-1374 vor. (Oder handelt es sich um Vater und Sohn?) 1358-1362 erscheint dieser Johann als bischöflicher Vogt auf der Winzenburg, 1367 unter den Knappen, die dem Bischof huldigen. (U.Ho.Hi. V,232,790)

Hiernach tauschte dieser Hans von Nettlingen, Knappe des Michaelisklosters, seinen Hof in Helmersen und den Kotelhof, die er vom Kloster zu Lehen trug, gegen ein Grundstück des Klosters zu Nettlingen, genannt „de Vulewisch“, das er schon vorher innegehabt hatte, als dauerndes Erbe ein. Dieses Lehnsgut, so heißt es, lag infra saepes seines Hofes et fossata in villa – das heißt: innerhalb der Zäune seines Hofes und der Befestigungsgräben im Dorfe. 

Der Hof mit dem Weißen Wall am Weißen Graben


Diese Ortsangabe und Beschreibung weist mit ziemlicher Sicherheit auf den Sedelhof hin, auf dem die von Nettlingen also schon damals saßen und der, wie wir aus späteren Lehensbriefen wissen, vom „Wittewall“ und „Wittegraben“ umgeben war und deshalb der „Wallhof“, der urkundlich zwar erst 1465 erwähnt wird (Dom.Arch. Nr. 950 B. 11) und auf dem dann später Curt von Salder nach 1550 das jetzige Schloss erbaute, schon immer der Sitz der von Nettlingen gewesen ist, seit sie dort vom Michaeliskoster belehnt wurden.

In der Abtschronik von Boettcher wird er als castrum, also als befestigter Burgsitz bezeichnet. Man wird das freilich als keinen Beweis für das Vorhandensein einer mittelalterlichen „Burg“ in Nettlingen ansehen dürfen, da sich auffälligerweise, wenn man von der an anderer Stelle liegenden Querneburg vor Nettlingen absieht, in den vielen mittelalterlichen Urkunden über Nettlingen sonst keinerlei Hinweis auf das Vorhandensein einer Burg findet. Doch wird man sagen dürfen, dass die Tendenz dahin ging, einmal eine Burg zu bauen.

Der Wallhof wird ein befestigter Hof mit Wall und Graben, aber ohne Burgfried gewesen sein, die ein größeres festgebautes Haus mit den nötigen Stallungen und Wirtschaftsgebäuden umschlossen - also der Vorläufer eines Burgsitzes.


Die älteste Beurkundung einer Belehnung ist erst aus dem Jahre 1465  erhalten. (Dom.A.950 Nr.11)

Danach empfing Hinrich v. Nettlingen: 

"den Sedelhof unde het de Wall unde geit de witte graben umme here, unde myt veer Kothoffen by dem Markede (Markt) unde eynen Hoff tygen (gegen) deme Tyge (wohl der alte Thie an der Landwehr) unde den Wupperhof half (sonst der Wipperhof genannt) unde is nu eyn Dyck (Teich) myt dren (drei) Hove (Hufen) Landes, unde twe Kothoffe, unde ligen vor deme Sedelhoffe, unde eynen Kothoff up der Kornstrate, unde noch eynen Hoff, unde het de·Schrieverhoff, unde eyne Wisch in deme Hagen, unde eyne Dickstede (Teichstätte) dar sulves, mit allen Rechtlicheiden (Gerechtigkeiten) unde Tobehoringe, so se liggen in deme Dorpe unde uppe dem Velde to Nettelinge unde wur (wo) se syn.“

Die Lehnsbriefe der nächsten Jahrhunderte zeigen mit geringen Abweichungen den gleichen Wortlaut. So heißt es 1475 und 1524 "den Sedelhoff unde heith de withe Wall"; 1552 und sonst: "unde geith de witte Wall und witte Graben umher". Ganz vereinzelt findet sich auch die Schreibweise: "der wisse Wall

und der wisse Graben". Ist "wisse" das Ursprüngliche, so könnte man an "wiss" in der Bedeutung von "fest" denken, wahrscheinlich aber ist "de witte Wall und witte Graben" richtig, in der Bedeutung von "witt" = "weiß". Warum man Wall und Graben als "weiß" bezeichnete, vemag ich nicht zu erklären. 

Wo lebte das Rittergeschlecht?


Wo mögen diese Höfe usw. gelegen haben? Darauf können zwei Versuche des Michaelisklosters aus späterer Zeit, der eine von 1754, der andere ohne Jahr (Hild. Lehnsakten), die alten Lehnsstücke zu identifizieren, teilweise eine Antwort zu geben.
Der Sattelhof soll "hinter dem Hause" d.h. dem Schloss gelegen haben. 1603 war das "alte Haus" noch vorhanden. Ob vielleicht der nördlich gelegene Eiskeller ein Rest des alten Walles ist? Der "witte Graben" wurde sicherlich vom Mönchegraben und der Klunkau gespeist. Der Bereich im Gutspark mag ein Teil des Grabens gewesen sein. 

Die im Text erwähnten Höfe helfen womöglich, die Orte einzuordnen:

Die vier Kothhöfe (kleine Selbstversorgerhöfe) "by dem Markede" (Markt) waren 1754 angeblich bewohnt von:

  • Johann Hölting (Haus Nr. 50 neben dem Pfarrhaus, 1961 Hartmann) 
  • Christian Tiernann (Haus Nr. 49, 1961 Stolle) 
  • Jakob Ohlums (Ohlms) und Henny Bartels (Hs. Nr.46 u. 45, 1961 Spar- u. Darlehnskasse) 
  • Bernt Vornkahl (Hs. Nr.43 an der Kornstraße, 1961 Wilh. Hölting)

Demnach hieß entweder die Straße von der Pfarrei an ostwärts bis zur Straßenbiegung "der Markt", oder diese Häuser lagen am Markt. Diesen hätten wir dann vermutlich vor dem Kirchhof oder östlich der Häuser 45 und 46 zu suchen. Nettlingen, das in den „Miracula Bernwardi“ (11. Jahrh.) als vicus, d.h. also als ein Ort von besonderem Rang, bezeichnet wird, hatte also einmal einen Markt. 

Ein Hof bei dem Thie: 1754 Andreas Ohlendorf (Hs. Nr. 1, 1961 Elsmann, vorher K. Müller) 
Der halbe Wupperhof: Halber Wupperhof (auch Wipperhof), "woraus ein Deich gemacht ist", lag 1754 "in den Nettlingschen Gärten, worauf jetzt die Weiden gepflanzt sind". Auf der anderen Hälfte des Hofes wohnte um 1750 angeblich Heinrich Greve (Hs. Nr. 94, nach der Land- und Wiesenbeschreibung von 1758/69 Johann Just Greve). Ist dies richtig, dann haben an der Kirchstraße um die ehemalige Molkerei her die "Nettlingschen Gärten“ gelegen.
Zwei Kothöfe beide in Sadelhofe hinter der Nettlingschen Scheuer gelegen, unweit des Sadelhofes:

1. Hof Hs. Nr.95, 1961 Zimmermann
2. Hof 1754: Peter Hartmann; Hs. Nr. 120; 1961 Herm. Vornkahl
(In der anderen Nachricht heißt es: "darauf wohnt jetzt Kurt Bartels, hat 120 Morgen." Das müsste Nr. 39 sein, aber dieser Hof liegt mitten im Dorfe und nicht beim Sadelhof!)
Ein Kothof bei der Kornstraße:
1754 Joh. Kohler, 1769 Witwe Köhler, Hs. Nr.3, 1961 Witwe Gremmel)
Der Schrieverhof (Schreiberhof):
1754 Franz Ohlms hinter der Kirche Hs. Nr.? heute ? "hat ein Wiesenbleek in der lütgen Wische an den Wähleschen Rothen".)
Eine Wische in dem Hagen und eine Teichstätte daselbst:
Hierzu heißt es 1754: "unweit Helmersen am langen Hagen, mit einer Teichstätte, der mönnicheteich genannt." In der anderen Nachricht heißt es: "die Mönniche-Wiese". Die genaue Lage des "Langen Hagen", des Mannecheteiches und der Mönchewiese ist heute nicht mehr zu ermitteln.
Zu Helmersen:
1 1/2 Höfe und 6 Morgen. Die besagten Höfe bewohnten 1754:
1. Hans Henrich Wittekop, im Jahr 1961 Nr.68, L. Kostetzki
2. Ludwig Gentemann, Hs. Nr.69, im Jahr 1961 Minna Legerow
Die 6 Morgen sind zwei Drei-Morgen-Äcker auf dem Ahlerbeeke nach dem (Ding)-Elver-Felde und Schnepelstieg zu gelegen.





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